Am 04.11.2016 setzte die niedersächsische Polizei an einem Freitagabend 177 Personen aus der Fanszene von Hannover 96 in der Nähe von Hildesheim fest und nahm diese für zwei Tage in präventives Polizeigewahrsam.
Die Polizei begründete diese freiheitsentziehende Maßnahme mit einer vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Drittortauseinandersetzung zwischen Fans von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig, deren Bezugsvereine am 06.11.2016 gegeneinander spielen würden. Die Fanhilfe Hannover legte für ein Mitglied Klage gegen die Maßnahme ein. (Aktenzeichen OVG Niedersachsen - 11 LB 108/18)
Im Zuge der Beweisaufnahme stellte sich heraus, dass die Polizei, nicht wie ursprünglich behauptet, keine Erkenntnisse über die Anwesenheit oder Bewegung von Fans des Braunschweiger Vereins hatte. Tatsächlich berichteten die als Zeugen gehörten Beamten, dass keiner der Kollegen, die den gesamten Stadtbereich Hildesheim „im Auge hatten“ überhaupt Braunschweiger Fans in Hildesheim festgestellt hatte. Belege für eine unmittelbare Auseinandersetzung lagen daher nicht vor.
Daneben waren auch die Fragen zur Verhältnismäßigkeit, des Umfanges und der Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahme sowie die Art und Weise der Unterbringung Gegenstand des Verfahrens.
Beklagt wurde insbesondere, dass eine Vielzahl der von der Polizei Hannover belegten Zellen nicht den europäischen Standards zur Unterbringung von Gefangenen entsprach. Über die entsprechenden Unzulänglichkeiten hatte z.B. die Hannoversche Allgemeine Zeitung bereits im Jahr 2012 berichtet (https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Ein-Blick-hinter-Hannovers-Gitter).
„Was wir hier erlebt haben, war eine staatlich initiierte Stigmatisierung von Fußballfans basierend auf bloßen Vermutungen der Polizeiführung. Besorgniserregend ist dahingehend auch die Rolle einiger Medienvertreter*innen, die sich willfährig in ihrer Berichterstattung den Thesen der Polizei Hannover hingaben.“ sagt ein Prozessbeobachter der Fanhilfe Hannover.
Im weiteren Verlauf folgte letztlich auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht dem Klagevortrag von Fanhilfe Anwalt Dr. Andreas Hüttl und stellte fest, dass bereits keine Tatsachen vorgelegen haben, die die bemühte Prognose der Polizeidirektion stützen würden. Hiernach wurde bereits die Anordnung der Ingewahrsamnahme als rechtswidrig angesehen und der Klage stattgegeben. Auf die Art und Weise der Unterbringung kam es insoweit nicht mehr an.
Im Anschluss an die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme vom 04.11.2016 bis 06.11.2016 machte das Mitglied der Fanhilfe Hannover über Rechtsanwalt Dr. Andreas Hüttl zudem Schadenersatz in vierstelliger Höhe gegen die Polizeidirektion Hannover geltend. Der Anspruch wurde als begründet erachtet und vollumfänglich beglichen.
„Seit Jahren klagt die Polizei über mangelnde Akzeptanz in der Gesellschaft und über ihre Wahrnehmung als Feindbild. Die Polizei täte gut daran, sich und ihr Handeln vor rechtsstaatlichen Grundsätzen zu reflektieren. Durch derartige rechtswidrige Maßnahmen wird die Akzeptanz der Polizei bei den Bürger*innen weiter schwinden. Erst recht dann, wenn verantwortungslos auch noch Steuergelder für Prozess- und Schadenersatzkosten aufgebracht werden müssen.“ führt ein anderer Prozessbeobachter fort.
Die Fanhilfe Hannover fordert daher den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius als Dienstherren auf, umgehend das rechtskräftige Urteil zum Anlass zu nehmen, personelle Konsequenzen zur Wiederherstellung der Integrität seiner Behörden zu ziehen. Eine kritische Aufarbeitung der rechtswidrigen Maßnahme, eine sachgemäße Ausbildung der Mitarbeiter*innen im polizeilichen Dienst, sowie eine Abkehr der jahrelangen fanfeindlichen Alibipolitik wären diesbezüglich ein Schritt in die richtige Richtung.
Fanhilfe Hannover, 16.03.2021