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Donnerstag, 24. November 2016

Urteil des OVG Lüneburg in der Sache "Arbeitsdatei: szenekundige Beamte" - Einträge zu großen Teilen rechtswidrig

Am 18.11.2016 fand vor dem OVG Lüneburg die Berufungsverhandlung betreffend der Löschung von personenbezogenen Daten aus der "Arbeitsdatei: szenekundige Beamte" statt.

Auch wenn eine vollständige Löschung der Einträge in dieser Instanz nicht erreicht werden konnte, zeigen die Ergebnisse der Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Hannover und OVG Lüneburg deutlich auf, wie problematisch die Führung der so genannten SKB-Datenbank ist. So mussten insgesamt fast die Hälfte der vorhandenen Einträge betreffend der Klägerin gelöscht werden - ein Indiz dafür, wie viele willkürliche und falsche Einträge in der Datei vorhanden sind, deren Bestehen einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Die Arbeitsdatei wurde dennoch jahrelang ohne Rechtsgrundlage im Geheimen geführt und entbehrt zudem weiterer rechtsstaatlicher Grundsätze: so ist eine automatische Information über die Speicherung gegenüber den Betroffenen nicht vorgesehen. Zudem scheint die Löschung von rechtswidrigen Einträgen nur über den Rechtsweg möglich zu sein - ein kostenintensiver Aufwand, der für den Großteil der Betroffenen nur unter großen Belastungen realisierbar sein wird. Auch problematisch ist die Qualität der eingetragenen Vorkommnisse, so sind sowohl einfache Personalienfeststellungen vorhanden, die für eine Gefahrenprognose überhaupt keinen Wert haben, als auch eingeleitete Ermittlungsverfahren. Der Ausgang der Ermittlungsverfahren (zum Beispiel eine Einstellung mangels Tatverdacht) ist jedoch in dem überwiegenden Teil der Fälle nicht vermerkt.
So schafft die Polizei sich selbst Material für ihre Datei, eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts und des Prognosewerts der Eintragung zum Beispiel durch eine unabhängige Stelle erfolgt nicht, dennoch sind auf Grundlage der Datei umfassende Grundrechtseingriffe möglich (beispielsweise die Erteilung von Aufenthaltsverboten für eine gesamte Saison).

Die Fanhilfe erwartet in den kommenden Wochen die schriftliche Urteilsbegründung und wird zeitnah eine Verfassungsbeschwerde anstrengen, um weiterführend gegen die Datenbank vorzugehen.

Freitag, 9. September 2016

Einstellung wegen geringen Tatverdachts nach Ermittlungsverfahren wegen ACAB-Doppelhalter

Nur wenige Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema der Strafbarkeit der Abkürzung "ACAB" folgte auch die Staatsanwaltschaft Hannover dieser Ansicht und stellte ein Verfahren wegen vermeintlicher Beleidigung nach § 170 II StPO (kein hinreichender Tatverdacht) ein.

Eine Polizeibeamtin auf der Osttribüne des Niedersachsenstadions sah sich im Rahmen des Bundesligaspiels Hannover 96 gegen den Hamburger SV trotz der großen Entfernung zur Nordkurve persönlich unter den rund 49.000 Zuschauern derart schwer durch einen Doppelhalter mit der Aufschrift „ACAB“ in ihrer Ehre verletzt, dass sie sich zur einer Anzeige gegen ein Fanhilfe-Mitglied berufen fühlte. Dieses berief sich in seiner Argumentation durch seinen Rechtsbeistand auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.05.2016, wonach eine derartige Äußerung durch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt sei.
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft folgte dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Eine Beleidigung läge nur vor, würde die Aussage „ACAB“ personalisiert oder gezielt vorsätzlich an eine
individuell abgrenzbare Gruppe von Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten gerichtet werden. Dieses ist eindeutig durch das bloße Zeigen eines Doppelhalters, eines Transparents oder das Tragen eines Kleidungsstücks nicht gegeben.

Die Fanhilfe Hannover appelliert an dieser Stelle an alle Polizeidirektionen, insbesondere an jene mit dem Schwerpunkt Fußballeinsätze, sich proaktiv mit der aktuellen Rechtsprechung auseinanderzusetzen und die Beamten entsprechend zu schulen.
Ebenfalls fordert die Fanhilfe Hannover die Polizeigewerkschaften als Vertreter von auf die Verfassung vereidigten Beamten auf, auf das geltende Recht hinzuweisen und dieses zu schützen, anstatt aus bloßem Beißreflex unliebsame Entscheidungen öffentlich in einer unangemessenen Form zu kritisieren.
Die häufig angeführte Überlastung der zur Verfügung stehenden Ressourcen beziehungsweise des Rechtsstaates würde um ein Vielfaches geringer ausfallen, würden sich Beamten nicht durch ein falsches Rechtsverständnis aufgrund von Prinzipienreiterei mit derart irrelevanten Ermittlungen befassen müssen.

Die Fanhilfe Hannover wird ähnlich gelagerte Fälle, sollten sie zukünftig an sie herangetragen werden, auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung prüfen und ihren Mitgliedern zur Anzeige raten.

Mittwoch, 31. August 2016

Die Rolle des Lokaljournalismus'

In der Vergangenheit berichtete die Fanhilfe bereits mehrfach über erfolgreiche Beschwerden beim deutschen Presserat im Zuge der Berichterstattung durch hannoversche Lokalzeitungen der Madsack Mediengruppe, in diesem Fall der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) und der Neuen Presse (NP) (Erfolgreiche Beschwerde beim Presserat, 09.02.2015 ; Erfolgreiche Beschwerde beim Presserat, 14.07.2014)


Auch 2016 lässt sich leider erneut eine sehr verbesserungswürdige Berichterstattung attestieren.
Während die HAZ am 31.10.2012 noch berichtete, dass es in der Innenstadt von Hannover vor, während und nach der Partie gegen Dynamo Dresden ruhig geblieben sei (Randale überschattet Sieg von Hannover 96 gegen Dynamo Dresden), ist die Faktenlage nach knapp vier Jahren plötzlich eine komplett andere. Hier behauptet die HAZ nun, es sei 2012 zu „schlimmen Krawallen in der City“ gekommen. (Kommunalwahl zwischen Fußballchaoten?, HAZ am 28.07.2016). Aus diesem Grund sei nun die Stimmabgabe im einzigen Wahllokal des Bezirks Mitte in Gefahr. Bedauerlicherweise beteiligen sich auch Vertreter der hannoverschen SPD und der CDU mangels Fachkenntnis an dieser inszenierten Diskussion, die die Bürger des Wahlbezirks Mitte lediglich beunruhigt.
Allem Anschein nach ist es mittlerweile Usus, sich im Rahmen einer oberflächlicher Recherche Themen anzunehmen, die sich ohne Gegenstimme in eine bestimmte Richtung durch einen inszenierten Spannungsbogen über einen längeren Zeitraum beliebig fortführen lassen. Schon eine simple Rückfrage bei Fanbeirat, Fanprojekt, Fanbeauftragten oder Fanhilfe beider Vereine nach einer Einschätzung der Situation hätte ans Licht gebracht, dass die Vorzeichen im Jahr 2016 ganz andere sein werden. Das Ligaspiel zwischen Hannover 96 und Dynamo Dresden ist nur eines von 34 Ligaspielen und kein K.O.-Spiel im Rahmen des DFB-Pokals. Auch die frühe Anstoßzeit, gepaart mit einem Werktag in Folge des Spieltags, nimmt deutlich Brisanz aus der Partie. 2012 hatte ein Feiertag in Sachsen zu einer großen Anzahl an Gästefans geführt. Dieses ist 2016 nicht der Fall, was auch das aktuell von Dynamo Dresden abgerufene Kartenkontingent offenbart. All dieses hätte im Vorfeld zu einer deutlichen Versachlichung beigetragen, sofern seitens der lokalen Pressevertreter eine ausgeglichene Recherche stattgefunden hätte. Es wird also wenig überraschend sein, wenn am 12.09.2016 beide Redaktionen einen weitestgehend ruhigen Spieltag unter massivem behördlichen Aufwand vermelden werden.
 

Wie offensichtlich man mittlerweile gezielt mit vermeintlichen Hannover-96-Fanthemen Auflage machen möchte, ohne auch nur einen Funken journalistische Sorgfalt walten zu lassen, offenbarten HAZ und Neue Presse sehr anschaulich ebenfalls am vergangenen Wochenende. Laut der Schlagzeile attackierten 96-Ultras Polizisten auf einem Stadtfest in der Region Hannover. Sie sollen sich dabei mit gewaltbereiten Festbesuchern solidarisiert haben und seien auf die Polizeibeamten losgegangen (96-Ultras attackieren Polizei bei Stadtfest, HAZ am 27.08.2016). Im selben Artikel der HAZ wird allerdings ein Polizeisprecher zitiert, laut dessen Aussage die vermeintlichen 96-Anhänger keine Straftaten begangen hätten und nicht im Fokus der Ermittlungen stünden. Für den Leser wird in diesem Fall zweifelsfrei durch die Autorin Isabel Christian ein klares Bild konstruiert, welches klar von den tatsächlichen Geschehnissen abweicht. Noch einfacher machte es sich hingegen die Neue Presse Hannover. Während sie erst den Artikel aus dem gemeinsamen Regionalteil von HAZ/NP veröffentlichte, wurde der Artikel knapp eine Stunde später zusammengestrichen und in seiner Aussage nach bester „Stille Post“-Manier verändert, als wären die vermeintlichen 96-Anhänger tatsächlich auf die eingesetzten Polizisten losgegangen (96-Ultras attackieren Polizei bei Stadtfest, NP am 27.08.2016); (96-Ultras greifen Polizisten an, NP am 27.08.2016).

Die Fanhilfe Hannover wird in diesem Fall erneut den deutschen Presserat um eine Prüfung bitten.
Des Weiteren appelliert sie abermals an die beiden betroffenen Redaktionen, sich nicht zum Steigbügelhalter für Populisten zumachen, in dem sie durch Sensationsjournalismus die Faktenlage falsch wiedergeben. Auch und gerade bei verschärfter Wettbewerbssituation durch Onlinemedien und der wachsenden Zunahme von Werbeeinnahmen durch die Generierung von Klickzahlen darf die journalistische Sorgfaltspflicht im Rahmen der Berichterstattung nicht zu Lasten der Fußballfans ausgeblendet werden. Gerade dann nicht, wenn die derzeitige Entwicklung (Große Anfrage: Bewältigung des polizeilichen Einsatzgeschehens bei Fußballspielen: Resultate der Innenministerkonferenz in Mainz und Bewertung der aktuellen ZIS-Zahlen) entgegen der bisherigen Berichterstattung tatsächlich deutlich unaufgeregter und positiver als ohnehin schon ist.

Freitag, 5. August 2016

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Liebe Polizei Hannover,

dass "Reden nicht hilft", habt ihr gekonnt unter Beweis gestellt, in dem ihr 96-Fans ohne Stadionverbot aufgrund einer fragwürdigen Gefahrenprognose über eine lange Zeit massiv in ihren Grundrechten eingeschränkt habt. Wohlgemerkt, ohne den Verein oder das Fanprojekt in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Hannover 96 hat sich sogar nachweislich gegen den Erlass von Stadionverboten ausgesprochen, da keine Rechtsgrundlage vorhanden war.


Einige Fakten zu den Aufenthaltsverboten:

Schon eine dreimalige Personalienfeststellung hat ausgereicht, um ein Aufenthaltsverbot zu erhalten. Von diesen Personalienfeststellungen kann man sehr schnell betroffen sein. Erinnern wir uns an die Auswärtsfahrt in Gladbach - eine mögliche Zugverbindung für alle Fans und ein überraschender Angriff durch Unbekannte führte zu über 200 Personalienfeststellungen. Ermittlungsverfahren oder Urteile sind für die Gefahrenprognose der Polizei nicht ausschlaggebend gewesen.

Es ist zu kurz gegriffen zu behaupten, die Aufenthaltsverbote alleine hätten zu der Aufforderung geführt, nicht mehr mit der Polizei zu kommunizieren. Vielmehr ist der alleinige Grund, dass ein Sich-zur-Verfügung-Stellen als Ansprechpartner den Vorwurf der Rädelsführerschaft begründet. In sämtlicher Kommunikation der Polizei so wie im zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichts wird als Begründung für die Rädelsführerschaft lediglich das Kommunikationsangebot in Gladbach, so wie die Mitgliedschaft im Fanbeirat angeführt. Hinweise oder Beweise, dass die betroffene Person bei (vermeintlichen) Ausschreitungen Rädelsführer war, gibt es demnach nicht.
Engagement wird hier bestraft.

Um also nicht Opfer weiterer fragwürdiger Repressionen zu werden, empfehlen wir allen Fans, sich nicht als Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen.

Freitag, 29. Juli 2016

Offener Brief der Fanhilfe Hannover, des Fanbeirats Hannover 96 und der IG Rote Kurve

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten Sie auf diesem Wege darauf hinweisen, dass wir allen Fans von Hannover 96 empfohlen haben, sich der Polizei als Ansprechpartner nicht mehr zur Verfügung zu stellen (Gemeinsame Mitteilung der Fanhilfe Hannover, des Fanbeirats Hannover 96 und der IG Rote Kurve).
Dieses betrifft besonders konkrete Situationen an Spieltagen, bei denen eine direkte Kommunikation zwischen Ansprechpartnern der Polizei und Ansprechpartnern auf Seiten der Fans nötig und angebracht wäre.

Nach aktueller Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover wird bei eventuellen Verfahren den Ansprechpartnern auf Fanseite genau dieses Angebot der Kommunikation zum Nachteil ausgelegt. Das Verwaltungsgericht Hannover ist im Eilverfahren bezüglich eines Stadtverbots der
Begründung der Polizeidirektion Hannover gefolgt, welche impliziert, dass eine Person, die sich als Ansprechpartner zur Verfügung stellt, automatisch auch Rädelsführer der gewaltbereiten Szene sein muss.

Da wir davon ausgehen, dass sich die Mehrheit der 96-Fans in Zukunft aus Gründen des Selbstschutzes jeder Kommunikation verweigern wird, möchten wir Sie bitten, dies im Vorfeld der Spiele den jeweiligen Einsatzleitern und "szenekundigen" Beamten bekannt zu machen.

Mit freundlichen Grüßen

Fanhilfe Hannover
Fanbeirat Hannover 96
IG Rote Kurve

Gemeinsame Mitteilung der Fanhilfe Hannover, des Fanbeirats Hannover 96 und der IG Rote Kurve

Hallo 96-Fans!

Wir möchten Euch auf diesem Wege über den folgenden Sachverhalt aufklären: Der Hintergrund unserer Nachricht sind die Ausführungen der Polizeidirektion Hannover bezüglich der Aufenthaltsverbote gegen 45 Fans von Hannover 96 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover zu der ersten Klage eines Betroffenen gegen ein Verbot im Eilverfahren. Diese 45 Personen dürfen sich jeweils 6 Stunden vor und nach den Heimspielen der Profis und der Amateure nicht im Bereich Stadion/Innenstadt aufhalten.
 

Die Polizeidirektion Hannover führt in Ihrer Klageerwiderung als Begründung für das Stadtverbot aus, dass der Betroffene nicht nur Mitglied des Fanbeirats sei, sondern sich auch in Mönchengladbach
zusammen mit zwei weiteren Personen als Vermittler zwischen 96-Fans und der Polizei zur Verfügung gestellt hat. Dies belege, dass er Rädelsführer sei. Das Verwaltungsgericht Hannover folgte in seinem Beschluss dieser Argumentation und wertete es zum Nachteil des Klägers, dass dieser als "Wortführer aufgetreten" sei.
 

Während die Polizei also einerseits immer wieder beklagt  (Interview mit Peter Jördening, Chef der Bundespolizeiinspektion Hannover), "dass die Ansprechbarkeit der hannoverschen Fans wesentlich schlechter" sei als an den anderen niedersächsichen Standorten, wird es andererseits den 96-Fans zum Nachteil ausgelegt, die sich bei konkreten Problemen vor Ort als Ansprechpartner und Vermittler zur Verfügung stellen. 

Vor diesem Hintergrund empfehlen wir allen 96-Fans, sich auch in Zukunft bei Problemen nicht als Ansprechpartner der Polizei zur Verfügung zu stellen, da dies später negativ ausgelegt werden könnte. Diese Empfehlung teilen wir zudem allen Bundespolizeidirektionen sowie den Direktionen bzw. Präsidien der Landespolizeien an den Zweitligastandorten mit (Offener Brief der Fanhilfe Hannover, des Fanbeirats Hannover 96 und der IG Rote Kurve). Auch die Fanbetreuung von Hannover 96 sowie das Fanprojekt Hannover wurden informiert.

Dennoch wünschen wir uns allen eine erfolgreiche und stressfreie neue Saison. Auf und neben dem Platz.


Fanhilfe Hannover
Fanbereirat Hannover 96
IG Rote Kurve

Dienstag, 19. April 2016

Die Wirrungen des Boris Pistorius'

Wie man einer dpa-Meldung und einem Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung entnehmen kann, möchte der niedersächsische Minister für Inneres und Sport einen "Fußballgipfel" einberufen, dessen Teilnehmer noch nicht bekannt sind. Vermeintliches Ziel soll sein, eine Definition von 'Fankultur' zu finden, die Herrn Pistorius genehm ist. Nicht genehm sind ihm laut übereinstimmenden Berichten Pyrotechnik und laut dpa-Meldung "Choreographien mit großen Schwenkfahnen" (sic!). Er behauptet, dass aktuell der Begriff der 'Fankultur' ausschließlich von Ultras und Fangruppen definiert würde.

Über Sinn und Unsinn dieser Aussagen wollen wir uns gar nicht weiter auslassen. Jeder interessierte Fußballfan, der regelmäßig Fußballspiele besucht, wird diese realitätsfernen Gedankengänge schon einzuordnen wissen. Interessanter ist, warum Herr Pistorius sich berufen fühlt, sich erneut in Themen des Fußballs einzumischen. Liegt es wirklich daran, dass es in der kommenden Saison wieder zwei Derbys geben wird? Oder liegt es vielleicht daran, dass es ihm und seiner untergebenen Polizei nicht in die Argumentationslinie passt, dass die Kennzahlen zu Fangewalt in Niedersachen deutlich zurückgegangen sind und sich die Polizei somit eigentlich selbst fragen müsste, ob es wirklich nötig ist, weiter in übermäßiger Stärke bei völlig unkritischen Spielen aufzutreten? Aus unserer Sicht beabsichtigt Herr Pistorius durch diese populistischen Aussagen und Maßnahmen alle Fußballfans weiteren Repressionen, Drangsalierungen und Überwachungen auszusetzen. Sollte er dieses schaffen, wird er tatsächlich irgendwann eine Atmosphäre wie bei den L.A. Dodgers schaffen: Ein komplett kommerzielles Event, bei dem der Konsum im Vordergrund, der Sport an sich hingegen häufig nur im Hintergrund steht und bei dem es quasi keine Fangesänge, geschweige denn Choreographien geben wird.

Vor diesem Hintergrund möchten wir die tatsächlich Beteiligten am Fußball, also vor allem die Vereine und Verbände, aber auch die Medien davor warnen, auf den populistischen Zug von Politik und Polizei aufzuspringen, und sie auffordern, sich sachlich und realitätsnah mit dem Thema 'Fankultur' zu beschäftigen. Herrn Pistorius möchten wir hingegen darum bitten, sich um die wichtigen Themen und Probleme des Landes zu kümmern. Der Fußball gehört mit Sicherheit nicht dazu. Die Fankultur selbst, dies legt schon der Wortlaut nahe, gehört in erster Linie einen: den Fans.

Sonntag, 6. März 2016

Fanhilfe Hannover kritisiert bevorstehende Erteilung von mindestens 44 Aufenthaltsverboten

In den letzten zwei Wochen trudelten bei diversen Angehörigen der hannoverschen Fanszene Anhörungen für Aufenthaltsverbote im Bereich Niedersachsenstadion/Innenstadt für die restliche laufende Saison und für die Saison 2016/2017 ein. Diese sollen nicht nur bei Heimspielen der Profis gelten, sondern auch bei Freundschaftsspielen sowie den Heimspielen der Amateure.

Rechtsgrundlage hierfür soll § 17 des niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes sein. Hiernach kann zur Verhinderung von Straftaten ein zeitlich und örtlich begrenztes Aufenthaltsverbot erteilt werden. So weit, so gut – wie sieht aber die Grundlage für die Beurteilung darüber aus, ob die betroffene Person an Spieltagen Straftaten begehen wird? Den beurteilenden Beamten reicht schon eine dreimalige Personalienfeststellung aus, um zu der Annahme zu gelangen, der betroffene Fan sei ein solcher Gewalt- und Straftäter, dass ein Eingriff in seine Grundrechte absolut verhältnismäßig sei. Man muss nicht einmal zu den regelmäßigen Auswärtsfahrern gehören, um zu wissen, dass man auch ohne eigenes Zutun sehr schnell in eine Identitätsfeststellung geraten kann. Bestes Beispiel hierfür (und auch dieses Ereignis wird von den Beamten zur Beurteilung herangezogen) ist der nicht lange zurück liegende Vorfall bei der Anreise nach Mönchengladbach, bei der Unbekannte den Zug der Hannoveraner stoppten und angriffen. Schon standen 234 Personen eingekesselt auf dem Gleis und mussten sich einer mehrere Stunden dauernden Identitätsfeststellung unterziehen, ohne selbst an der versuchten Auseinandersetzung beteiligt gewesen zu sein. Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenfalls, dass Betroffene im Anschluss schriftlich von der Polizei in Mönchengladbach bestätigt bekommen haben, dass sie lediglich als Zeugen geführt werden. Dennoch wird ihnen diese Personalienaufnahme nun zur Last gelegt.

Allein nicht auf ihre Rechtmäßigkeit geprüfte polizeiliche Maßnahmen, die man auf Auswärtsspielen wohl als absolute Standardprozedur bewerten kann, sollen hier Grundrechtseingriffe in extremer Intensität rechtfertigen. Bei dem überwiegenden Anteil der Begründungen sind im Gegensatz zu der Personalienfeststellung auf der Fahrt nach Mönchengladbach allerdings nicht einmal Straftaten bekannt, bei denen es überhaupt Betroffene/Zeugen/Beschuldigte hätte geben können. Es stellt sich also unbedingt die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme – die Beurteilungsgrundlage ist fragwürdig, ebenso die Dauer und das örtliche Ausmaß des Aufenthaltsverbotes. Die Gegner der Amateurmannschaft reisen weitestgehend ganz ohne oder mit einer kaum nennenswerten Fanszene an. Wieso also den Betroffenen auch für solche unspektakulären Begegnungen der Weg ins Stadtgebiet verwehrt bleiben soll, vermag im Rahmen der nötigen Verhältnismäßigkeit grundrechtsrelevanter Maßnahmen nicht zu erklären sein.

Neben der Rechtmäßigkeit der angedachten Maßnahme stellt sich auch die Frage der Sinnhaftigkeit. Fraglich ist zunächst, wieso Personen, die überwiegend nicht von einem Stadionverbot betroffen sind, der Besuch von Fußballspielen, für die sie eine Dauerkarte besitzen, versagt werden soll. Es wird einen Grund dafür geben, wieso Hannover 96 KEIN Stadionverbot für die wahrscheinlich von Aufenthaltsverboten betroffenen Personen vergeben hat. Es gibt keine Grundlage. Eine Tatsache, mit der man sich bei der Polizei nicht abfinden wollte und deshalb den fragwürdigen Umweg über Aufenthaltsverbote wählte. Ohne wertvolle Tipps geben zu wollen – ist ein geschlossen im Stadion stehender Mob angeblicher Gewalttäter nicht leichter unter Kontrolle zu halten, als sich wild im gesamten hannoverschen Stadtgebiet verteilende Kleingruppen? Erfolgt hier nicht lediglich eine Verschiebung des angeblichen Problems heraus aus dem Innenstadtgebiet?

Gehen die „szenekundigen“ Beamten tatsächlich davon aus, sich der Ultrakultur zugehörig fühlende Fans durch ein Aufenthaltsverbot so sehr desillusionieren zu können, dass diese an Spieltagen lieber zu Hause auf dem Sofa bleiben? Wenn ja: wer auf dieser Welt geht tatsächlich davon aus, dass diese Beamten die Bezeichnung „szenekundig“ verdient haben?

Inwieweit soll durch auf über ein Jahr ausgesprochene Aufenthaltsverbote ein pädagogisch sinnvoller Zweck erreicht werden? Sollten unter 21-jährige, für die im Strafrecht noch ein besonderer Schutz gilt, weil sie unter Umständen noch als Jugendliche gelten, wirklich von solchen intensiven Maßnahmen getroffen werden? Kleine Prognose unsererseits: das einzige, was hierdurch erreicht wird, ist eine Festigung des Feindbildes Polizei und das Drängen in die Rolle des Gewalttäters.

Aufenthaltsverbote haben natürlich eine ganz besonders praktische Folge: das Übertreten des Verbots
kann als Straftat geahndet werden, die Ahndung der Straftat (die es ohne das Aufenthaltsverbot überhaupt nicht gegeben hätte) wird herangezogen, um weitere Repressionen zu rechtfertigen. Ein Teufelskreis. Den Beamten kann es nicht um Problemlösung gehen. Es geht allein um die Auflösung der Strukturen der aktiven Fanszene mit den härtesten repressiven Mitteln. Eine solche Behandlung, die Stigmatisierung der aktiven Fanszene dürfen wir uns nicht gefallen lassen.

Deshalb der Aufruf: lasst nach jeder Personalienfeststellung eure Daten mit den entsprechenden Formularen auf unserem Blog löschen.

Solltet ihr von einem Aufenthaltsverbot betroffen sein und noch nicht in Kontakt mit der Fanhilfe getreten sein, holt dies nach. Rechtliche Schritte wurden durch die Betroffenen in Zusammenarbeit mit der Fanhilfe bereits eingeleitet.

Die angedachten Aufenthaltsverbote entbehren insbesondere in ihrer Dauer und Intensität jeglicher pädagogischer oder kriminologischer Grundlage. Es bleibt zu hoffen, dass die Wut der betroffenen Fans über diese Maßnahme sich lediglich durch das Präsentieren geschmacklich fragwürdiger Spruchbänder entlädt.

Abschließend möchten wir noch einmal die Antwort der niedersächsischen Landesregierung auf die große Anfrage der FDP zu Polizeieinsätzen bei Fußballspielen erwähnen. Aus dieser geht deutlich hervor, dass sowohl die Anzahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen, der eingeleiteten Strafverfahren als auch die Anzahl der verletzten Personen nicht nur landesweit, sondern v.a. auch am Standort Hannover deutlich zurück gegangen sind. Wieso die repressiven Maßnahmen dennoch in  großem Maße angezogen werden, lässt uns mit einem Fragzeichen im Kopf zurück. Es stellt sich die Frage, ob mit solchen überzogenen Maßnahmen die Daseinsberechtigung von einer großen Anzahl an Polizeibeamten an Spieltagen insgesamt und von "szenekundigen" Beamten generell sichergestellt werden soll.

Die Fanhilfe Hannover wird diese Thematik und das weitere Vorgehen in den kommenden Wochen intensiv gemeinsam mit dem Fanbeirat, dem Fanprojekt sowie den Verantwortlichen bei Hannover 96 besprechen.

Mittwoch, 2. März 2016

Weitere Geheimdateien aufgetaucht - Neue Datensammlung in Planung

Im vergangenen Jahr beschäftigte sich bereits das Verwaltungsgericht Hannover mit einer Klage eines Mitglieds der Fanhilfe gegen Eintragungen in einer zuvor geheimgehaltenen Datei der Polizei. Mittlerweile mussten weitere Bundesländer die Existenz einer solchen Datensammlung ebenfalls offenlegen.

Dass die Polizei geheime Datensammlungen vorhält, ist leider kein Novum mehr. In etlichen Bundesländern mussten die Polizeibehörden dies bereits einräumen und sonderlich überraschen wird es wohl niemanden, wenn zeitnah weitere Bekenntnisse folgen. Dass die Einrichtung bzw. die Eintragungen maximal bedingt auf rechtsstaatlichen Füßen stehen, hat das Verwaltungsgericht Hannover bereits bestätigt, der Datenschutzbeauftragte der Stadt Hamburg lässt in seiner Bewertung noch deutlich weniger Spielraum und nennt die örtliche Datei glatt rechtswidrig und fordert die umgehende Löschung.
Vergleicht man diese negativen Bewertungen zudem mit dem Gebaren der jeweiligen Polizeibehörden, schwant wohl auch den Verantwortlichen, dass sie damit Schiffbruch erleiden können. Während das Landeskriminalamt in Hamburg die Datei 2014 in einer Parlamentsanfrage noch leugnete und erst kürzlich deren Existenz einräumte, ist man in Niedersachsen, dank des von der Fanhilfe unterstützten Verfahrens gegen die Eintragungen vor dem Oberverwaltungsgericht, schon einen Schritt weiter. Einer Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage der FDP ist zu entnehmen, dass das niedersächsische Landeskriminalamt seit dem 20. Januar 2016 mit einer Zusammenführung der bisher lokal geführten Dateien betraut ist. Hinter dieser wohlfeilen Formulierung verbirgt sich der Versuch nachträglich rechtsstaatliche Standards, also z.B. Löschfristen und Kriterien für die Eintragung, einzuführen, um einer öffentlichkeitswirksamen Zurechtweisung durch das Gericht vorgreifen zu können.
Besser spät als nie, könnte man meinen, allerdings ist es nicht nur bedenklich, sondern viel mehr erschreckend, dass sich die Polizei ohne Kontrolle offensichtlich nicht an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze gebunden fühlt; bemerkenswert ist dabei zusätzlich, dass das Innenministerium sich zu diesem Schritt gezwungen sieht und damit öffentlich kundtut, was es von der Kompetenz der bisher damit betrauten szenekundigen Beamten hält. Nämlich gar nichts!

Neben dieser Bewertung ist für Fans von Hannover 96 außerdem interessant, dass in der in Hamburg geführten Datei auch wenigstens 18 96er aufgeführt werden. Mit dem folgenden Auskunftsersuchen (und einer beigefügten Ausweiskopie) könnt ihr euch Gewissheit verschaffen.

Auskunftsersuchen Datei "Gruppen- und Szenegewalt" Hamburg